Bundesverfassungsgericht am 19.12.2017: Studienplatzvergabeverfahren Humanmedizin teilweise verfassungswidrig

Was bedeutet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Auswahlverfahren im Studiengang Humanmedizin?

Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.12.2017 bleibt erstmal alles beim Alten: Das Gericht stellte (nur) die Unvereinbarkeit der beanstandeten Vorschriften zur Studienplatzvergabe mit dem Grundgesetz fest. Damit bleiben diese zunächst für eine Übergangszeit in Kraft. Der Bund und die Länder haben bis spätestens zum 31.12.2019 eine Neuregelung zu treffen. Wegen des Umfangs der Materie und der voraussichtlich schwierigen technischen Umsetzung bei der Stiftung für Hochschulzulassung ist wohl frühestens zum Vergabeverfahren für das Wintersemester 2019/20, das ab Mitte April 2019 startet, mit dem In Kraft treten von Neuregelungen zu rechnen.

Für die Abiturbestenquote (ca. 20 % der Studienplätze) entschied das BVerfG, dass die durch die Beschränkung der Bewerbung auf 6 Hochschulen in den Hintergrund tretende Eignung dem Grundgesetz widerspreche und damit nicht gerechtfertigt ist. In Folge dessen muss zukünftig in der Abiturbestenquote grundsätzlich wieder die Bewerbung an allen Hochschulen möglich sein. Eine Ortswunschangabe darf nur noch als Sekundärkriterium für die Verteilung der Plätze herangezogen werden.

Die bisherigen Regelungen für das Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH), in dem etwa 60 % der Studienplätze vergeben werden, sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in mehreren Punkten nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht stufte folgende Regelungen als verfassungswidrig ein:

• Vorauswahl nach Ortspräferenz,

• Berücksichtigung von Abiturnoten, ohne eine länderübergreifende Vergleichbarkeit herzustellen,

• nicht ausreichende gesetzliche Ausgestaltung weiterer Auswahlkriterien,

• Fehlen einer Regelung, die die Vergabe eines hinreichenden Teils der Studienplätze nach anderen Kriterien als der Abiturdurchschnittsnote sicherstellt.

Damit wird in Zukunft eine Vorauswahl nach Ortspräferenz dann nicht mehr möglich sein, wenn sich ein standardisiertes Vergabeverfahren anschließt. Bei individuellen Auswahlverfahren schließt das Gericht eine Vorauswahl nach der Ortspräferenz nicht aus, dann dürfen aber nicht alle Studienplätze der Quote von der Hochschule nach diesem Verfahren vergeben werden.

Weiterhin muss ein Verfahren etabliert werden, nach dem die Abiturnoten aus unterschiedlichen Ländern miteinander verglichen werden können. Das Gericht gesteht hier dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum zu, bringt aber eine Relationierung der Noten auf Zentralebene ins Spiel, auf die dann die Hochschulen zurückgreifen könnten.

Das Gericht verpflichtete den Gesetzgeber weiterhin dazu, für alle Auswahlkriterien genauere Vorgaben und Strukturen vorzusehen und für die Vergabe einer größeren Anzahl von Studienplätzen neben der Abiturnote auch in größerem Umfang als bisher auf andere Kriterien der Eignung abzustellen.

Die bisherige Wartezeitquote (ca. 20 % der Studienplätze) wird vom Gericht insoweit als verfassungswidrig eingestuft, als dass keine Begrenzung auf eine Höchstanzahl von Wartesemestern vorgenommen wird. Durch eine überlange Wartezeit werden die Wartenden insofern ungleich behandelt, als das durch das überlange Warten ihre Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss des Studiums geschmälert werden. In der Entscheidung klingt an, dass das Gericht eine reine Wartezeit von mehr als 8 Semestern für verfassungswidrig hält.

Bemerkenswert sind die Ausführungen des Gerichts, wonach eine Wartezeitquote, in der mehr als 20 % der Studienplätze vergeben würden, verfassungswidrig sei, da dann die Chancen der anderen Bewerber, die nach Eignungsgesichtspunkten ausgewählt werden, in zu großem Maße eingeschränkt seien. Darüber hinaus stellt das Gericht fest, dass der Gesetzgeber zwar berechtigt, aber in keiner Weise verpflichtet sei, Studienplätze nach Wartezeit zu vergeben. Dies kann durchaus zur Folge haben, dass die nun zu erstellende Neuregelung gar keine Wartezeitquote mehr vorsieht. Wenn diese Quote erhalten bleibt, dann aber auf alle Fälle mit einer zeitlichen Begrenzung. Denn das Bundesverfassungsgericht stärkt mit seiner Entscheidung zwar das Recht auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium, stellt aber auch fest, dass dieses Teilhaberecht nicht so weit reiche, dass

„…jeder und jede Hochschulzugangsberechtigte – unabhängig vom Ergebnis der schulischen Leistungen und der sonstigen fachspezifischen Qualifikation – beanspruchen könne, die Zulassung zu dem gewählten Studium tatsächlich eines Tages zu erhalten.“

Das kann für notenschlechtere Bewerber durch den dann möglichen Wegfall oder die zeitliche Deckelung der Wartezeitquote bedeuten, dass diese dann gar keine Möglichkeit mehr haben, eine Zulassung zum Medizinstudium erhalten. Insofern wird eine Neuregelung für diese Bewerbergruppe voraussichtlich eine deutliche Schlechterstellung zum derzeitigen Vergabeverfahren darstellen, da diese dann ganz vom Medizinstudium ausgeschlossen werden.

Aller Voraussicht nach wird der Gesetzgeber nicht nur das Auswahlverfahren für den Studiengang Humanmedizin, sondern für alle zentral vergebenen Studiengänge, also auch Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie neu und einheitlich regeln.

Auf eine laufende oder angedachte Studienplatzklage hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Auswirkungen.