Am 4.10.2017 wurde am Bundesverfassungsgericht (BVerfG - Az.: 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14 ) verhandelt, ob das Vergabesystem für Studienanfängerplätze in der Humanmedizin noch mit dem Grundgesetz, insbesondere dem in Artikel 12 des Grundgesetzes geregelten Berufs- und Ausbildungsfreiheitsrecht, vereinbar ist. Derzeit werden nach Abzug von Sonderquoten 20 % der Studienplätze an die Abiturbesten, 60 % der Studienplätze im Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) und 20 % der Studienplätze nach Wartezeit vergeben. Da mittlerweile die Wartezeit derjenigen, die nicht bereits in der Abiturbestenquote oder der Quote zum Auswahlverfahren der Hochschulen zum Zuge gekommen sind, die Regelstudienzeit überschreitet, hielt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen das Vergabesystem nicht mehr für verfassungsgemäß und legte die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.
Es zeigte sich, dass das BVerfG das gesamte Verfahren (mit Ausnahme der sogenannten Sonderquoten für Härtefälle, Bundeswehr und die Ausländerquote sowie besonders befähigte Berufstätige) in Zweifel zieht. Insbesondere bewegt es die Frage, welche Aussagekraft der Abiturnote in einem föderalistischen Schulsystem beizumessen ist, da der Schweregrad des Abiturs wie auch die Bewertung der Abiturleistungen in den Bundesländern unterschiedlich sind. Etwa klaffen die Durchschnittsnoten der Abiturienten zwischen Niedersachen und Thüringen um 0,5 Punkte auseinander. Möglich erscheint nun eine Vorgabe des BVerfG, wonach nicht nur wie bisher schon in der Abiturbestenquote, sondern auch in der Quote zum Auswahlverfahren der Hochschulen so genannte Landesquoten zur Chancengleichheit gebildet werden müssen.
Da sich das BVerfG auch sehr für die positiven Erfahrungen mit fachspezifischen Tests, wie den Test für medizinische Studiengänge (TMS) und die Auswahlverfahren in Hamburg, interessierte, könnte das BVerfG durchaus auch den Weg hin zu einer verpflichtenden und über das Gewicht der Abiturnote hinausgehendes Bedeutung zusätzlicher Auswahlkriterien in der Vergabequote zum Auswahlverfahren der Hochschulen ebnen. Am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf gibt es bereits gute Erfahrungen mit aus Kanada übernommenen "Multiple Mini Interviews". Hierdurch sollen neben den Fähigkeiten zum Wissenserwerb auch die Eigenschaften der Bewerber im Umgang mit Menschen möglichst objektiv eingeschätzt werden.
Die Vertreterin der Medizinstudenten kritisierte insbesondere das Übergewicht der Abiturbestenquote. Die Schüler und ihre Lehrer wählten bzw. arbeiteten in der Schule nur auf den Numerus clausus. Außerdem kritisierte sie die Intransparenz des Verfahrens. Trotz der zentralen Organisation der Stiftung für Hochschulzulassung müssten sich die Bewerber mit den Zulassungsanforderungen dutzender Universitäten vertraut machen um die Universitäten herauszufinden, an denen eine wenn auch noch so kleine Zulassungschance bestünde. Kritikwürdig sei auch die Begrenzung auf 6 Wunschuniveritäten in den jeweiligen Vergabequoten. So auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Wer falsch wähle, könne leer ausgehen, obwohl er eigentlich alle Bedingungen erfülle.
Das BVerfG hinterfragte zudem, ob die mit so genannter Satzungsautonomie ausgestatteten Universitäten ohne gesetzlich vorgegebene Kriterien nach eigenem Ermessen die Bewerber auswählen dürften. Immerhin gehe es nicht um Hochschulangehörige, sondern um Außenstehende Dritte, die erst Studenten werden wollten.
Spannend bleibt, wie das BVerfG mit der Wartezeitquote umzugehen gedenkt. Der Prozessvertreter der Länder und der Stiftung für Hochschulzulassung konnte, gefragt nach der Grenze der zumutbaren Wartezeit, keine das BVerfG befriedigende Antwort geben. Einigkeit bestand nur darin, dass es die nach Wartezeit zugelassenen Bewerber im vorklinischen Studienabschnitt sehr viel schwerer haben als ein 17 oder 18 jähriger Neuabiturient mit 1,0. Wir meinen, ein Grund für die Abschaffung der Wartezeitquote ist dieser Umstand gleichwohl nicht.