Normenkontrollverfahren und Verfassungsbeschwerden gegen Beschränkung der Studienplatzklage

Verfassungsbeschwerden

Studiengang Tiermedizin

Bei der Berechnung der Kapazität des Studienganges Tiermedizin wird das aus Stellen des Lehrpersonals vorhandene Lehrangebot um einen pauschalen Krankenversorgungsabzug in Höhe von 30 % vermindert. In einem von Dr. Selbmann & Bergert eingeleiteten Verfassungsbeschwerdeverfahren hat der Verfassungsgerichtshof Berlin (Az.: VerfGH 109/13) am 15.01.2014 entschieden, dass der Krankenversorgungsabzug und damit die von der FU Berlin durchgeführte Kapazitätsberechnung im Studiengang Tiermedizin nicht mit der Verfassung von Berlin vereinbar ist. Das Gericht hat dem Verordnungsgeber bis zum Beginn des Wintersemesters 2015/16 die Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes aufgegeben. Wegen des in Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 6 des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 08.05./05.06.2008 verankerten Grundsatzes der Bundeseinheitlichkeit der Kapazitätsberechnung müssen jetzt alle Bundesländer die entsprechenden Regelungen in ihren Kapazitätsverordnungen durch eine empirische Untersuchung des aktuell erforderlichen Krankenversorgungsabzuges und eine entsprechende Neuregelung anpassen. Zum Volltext des Beschlusses.

Normenkontrollverfahren

In den letzten Jahren wurden in mehreren Bundesländern Regelungen eingeführt, die die Vergabe gerichtlich erstrittener „außerkapazitärer“ Studienplätze an ein Bewerbungsverfahren bei der Stiftung für Hochschulzulassung koppeln. Studienplatzklageverfahren werden in diesen Bundesländern von einer Bewerbung bei der Stiftung für Hochschulzulassung für die jeweilige Hochschule in der Quote des Auswahlverfahrens der Hochschule abhängig gemacht. Dazu wurden die Studienplatzvergabeverordnungen im jeweiligen Landesrecht geändert.

Gegen landesrechtliche Verordnungen können binnen Jahresfrist nach der Bekanntgabe Normenkontrollen zum jeweiligen Oberverwaltungsgericht erhoben werden. Durch diese kann die Vereinbarkeit der Regelung mit höherrangigem Recht überprüft werden. Macht ein Studienbewerber erfolgreich geltend, dass die Möglichkeit einer Rechtsverletzung besteht, prüft das Oberverwaltungsgericht unter allen Gesichtspunkten eine Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht. In Streitigkeiten über die Vergabe von Studienplätzen erfolgt eine Überprüfung anhand des Rechts auf freie Wahl der Ausbildungsstätte gemäß Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz sowie der korrespondierenden Norm in der jeweiligen Landesverfassung. Das Recht auf freien Zugang zu Ausbildungsstätten in den Landesverfassungen kann weiter ausgestaltet werden als das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz, weshalb es zu unterschiedlichen gerichtlichen Entscheidungen in den einzelnen Bundesländern kommen kann.

Die Kanzlei Dr. Selbmann & Bergert war an durchgeführten Normenkontrollverfahren in den Bundesländern Sachsen-Anhalt und Thüringen beteiligt, wobei das Verfahren in Sachsen-Anhalt erfolgreich beendet werden konnte.

Ausgangspunkt ist das Land Baden-Württemberg. Dort wurde zum WS 2009/10 eine Regelung erlassen, nach der eine Verknüpfung gerichtlich aufgedeckter Studienplätze an das Auswahlverfahren der Hochschule erfolgt. In einem Normenkontrollverfahren urteilte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim, dass die entsprechende landesrechtliche Regelung mit Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz vereinbar sei. Ein Verstoß gegen Landesverfassungsrecht wurde nicht gerügt. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim durch Urteil vom 23. März 2011. Unsere Kanzlei war zwar an diesen Verfahren nicht beteiligt, jedoch an Normenkontrollverfahren in den Bundesländern Sachsen-Anhalt und Thüringen. Diese Bundesländer änderten ihre Studienplatzvergabeverordnungen unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Baden-Württemberg.

Das Verfahren in Sachsen-Anhalt vor dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg konnte zu einem endgültigen und erfolgreichen Abschluss im Sinne der Studienbewerber gebracht werden. Die entsprechende landesrechtliche Regelung wurde mit Urteil vom 19. Oktober 2011 für unwirksam erklärt. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg kam zu dem Ergebnis, dass die Koppelung zwischen Auswahlverfahren der Hochschule und der Vergabe gerichtlich aufgedeckter Studienplätze nicht mit der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vereinbar sei. Das Gericht folgte unserer Argumentation, dass ausländische Studienbewerber von der Vergabe ausgeschlossen werden. Ausländische Studienbewerber können sich nicht im Auswahlverfahren der Hochschule bewerben. Anders als Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz gewährt die sachsen-anhaltische Landesverfassung auch ausländischen Studienbewerbern ein Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte. Die Entscheidung ist rechtskräftig. Damit ist die Nennung der Hochschulen in Sachsen-Anhalt in der Bewerbung bei der Stiftung für Hochschulzulassung keine Voraussetzung für die Durchführung von Studienplatzklageverfahren. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt verlangt jedoch künftig einen Nachweis, dass der Studienbewerber alles Erforderliche getan hat, um einen Studienplatz zu erhalten. Deshalb sollte eine vollständige Bewerbung bei der Stiftung für Hochschulzulassung eingereicht werden. Welche Studienorte benannt werden, ist für eine Studienplatzklage in Sachsen-Anhalt nicht von Belang.

In Thüringen wurde durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Weimar vom 27. September 2011 im Rahmen eines von uns gestellten Eilantrags eine gleichlautende Regelung für das Wintersemester 2011/12 außer Vollzug gesetzt. Das Oberverwaltungsgericht Weimar ging in der Eilentscheidung davon aus, dass die Norm zu kurzfristig vor Ablauf der Bewerbungsfrist im zentralen Vergabeverfahren erlassen wurde. In der Hauptsache argumentierten wir, Zweitstudienbewerber seien durch das Landesrecht komplett von der gerichtlich angeordneten Vergabe von Studienplätzen ausgeschlossen. Dies verstoße gegen das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz sowie Art. 20, Art. 35 der Thüringer Verfassung. Das Oberverwaltungsgericht Thüringen lehnte unsere Normenkontrollanträge mit Urteil vom 25. September 2012 ab. Wir haben Rechtsmittel gegen diese Entscheidung zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Das Bundesverwaltungsgericht wies unsere Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluss 22. Juli 2013 vom zurück. Darauf hin haben wir Verfassungsbeschwerde zum Thüringer Landesverfassungsgericht und zum Bundesverfassungsgericht erhoben, um zu klären, ob der Ausschluss von Zweitstudienbewerbern von gerichtlichen Verfahren mit der Thüringder Landesverfassung und mit dem Grundgesetz im Einklang steht. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof stellte mit Beschluss vom 19. November 2014 fest, dass er an einer Sachentscheidung gehindert sei, weil ein Bundesgericht den Sachverhalt umfassend geprüft und eine Rechtsverletzung verneint habe. Das Bundesverfassungsgerichts nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Der Beschluss vom 24. August 2016 enthält jedoch keine Begründung.

Ebenso hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, zunächst in einem Eilverfahren, mit Beschluss vom 21. September 2011 eine entsprechende Regelung außer Vollzug gesetzt. Im Saarland hatten sich mehrere Zweitstudienbewerber gegen die Verknüpfung der Vergabe gerichtlich aufgedeckter Studienplätze und dem Auswahlverfahren der Hochschule gewandt. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes ging davon aus, dass die Rechte von Zweitstudienbewerbern nicht ausreichend gewahrt würden. Diese könnten sich ebenfalls nicht im Auswahlverfahren der Hochschule bewerben und würden daher durch die angegriffene Regelung im Vergabeverfahren um gerichtlich aufgedeckte Studienplätze nicht beteiligt. Diese Auffassung bestätige das Oberverwaltungsgericht des Saarlands in einem weiteren Urteil vom 2. Februar 2012. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Als weiteres Bundesland hat Mecklenburg-Vorpommern eine Regelung erlassen, nach der eine Bewerbung im Auswahlverfahren der Hochschule Voraussetzung für eine Studienplatzklage sein soll. Das Verwaltungsgericht Schwerin lehnte eine Bindung an eine Bewerbung im Auswahlverfahren der Hochschulen ab, da die landesverfassungsrechtlich gewährten Grundrechte von Ausländern, die nicht am Auswahlverfahren der Hochschule teilnehmen können, durch die Regelung verletzt seien. Darauf hin wurde die Vergabeverordnung kurz vor Ablauf der Bewerbungsfrist zum WS 2013/14 geändert. Wir haben daher einen Eilantrag auf Aussetzung der Norm für das laufende Semester erhoben. Das Oberverwaltungsgericht verwies uns auf das reguläre Studienplatzklageverfahren, weil die Änderung ursprünglichen Norm nur minimal sei und es deshalb an einer Antragsbefugnis fehle. Durch das Eilverfahren vor den Verwaltungsgerichten sei ausreichender Rechtsschutz zu erreichen.

In weiteren Bundesländern wurden keine entsprechenden Regelungen erlassen. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts in Hamburg eine Direktbewerbung bei der Stiftung für Hochschulzulassung Voraussetzung für eine Studienplatzklage.

In Hessen konnten wir am 22. Oktober 2012 in einem Beschwerdeverfahren eine Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes erstreiten, in der das Gericht feststellte, eine Bewerbung um einen Studienplatz sei weder in den Studiengängen, die in das zentrale Vergabeverfahren einbezogen sind, noch in allen anderen Studiengängen eine Voraussetzung für eine Studienplatzklage ist. Der Hessische VGH hob damit eine anderslautende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt auf. Zum WS 2013/14 wurde die Vergabeverordnung geändert. Nunmehr soll auch eine innerkapazitäre Bewerbung bei der Hochschule erforderlich sein. Wir diese Regelung von den Verwaltungsgerichten ausgelegt wird, bleibt abzuwarten.